Ein Beitrag von Dominique Luzia Kauer (M. Sc.) der Friedrich-Schiller-Universität Jena über den wissenschaftlichen Artikel „Rhythmic Rush: Everyday ambulant care within microgeographies of home and a system of service complexes“, der sich mit dem Deutschen Pflegesystem und der Pflege im Altenburger Land beschäftigt.
Es klingelt. Kurz darauf öffnet sich die Haustür. Die Pflegerin tritt ein, hängt ihre Jacke an die Garderobe. Mit schnellen Schritten kommt sie ins Wohnzimmer, während sie eine Begrüßung ruft und routiniert Dinge holt, die sie für die morgendliche Wäsche benötigt. Sie merken den Zeitdruck, der auf der Pflegerin lastet und möchten ihr die Arbeit erleichtern, indem Sie versuchen, eingespielte Abläufe so gut wie möglich mitzumachen. Viel lieber möchten Sie Ihre Pflegerin besser kennenlernen und sich mit ihr unterhalten, aber das lässt deren Arbeitgeber mit der knapp bemessenen Zeit für Ihre Pflege nicht zu.
Meine Begleitung von Pflegekräften im Altenburger Land zeigte, wie komplex und vor allem zeitlich herausfordernd der Pflegealltag ist. In den Wohnungen treffen verschiedene Rhythmen aufeinander: Da ist der individuelle Lebensrhythmus des Ruhestands und andererseits das enge Zeitkorsett, in dem Pflegekräfte arbeiten müssen – ein System, das jede Handlung nach Minuten bemisst und häufig wenig Spielraum für Flexibilität lässt. Räume, die Zuhause bedeuten, verwandeln sich in einen Arbeitsort. Durch digitale Technik und standardisierte „Leistungskomplexe“ werden Pflegeleistungen bis ins Detail erfasst und vorgegeben, sodass Pflegekräften kaum Zeit bleibt für die Sorgearbeit, also den Aufbau von Vertrauen und Nähe, die die Grundlage für gute Pflege bildet. Der Druck, der entsteht, belastet Gepflegte genauso wie Pflegekräfte. Dieser Druck ist von den Pflegekassen vorgegeben und zeigt auch, mit welchen Vorstellungen Abrechungen entstehen: Sie gehen von einem Standardkörper aus, dass also alle Menschen mit demselben Pflegegrad die gleichen Bedürfnisse haben. Auch gehen sie von einem Standard Zuhause aus, in dem die gleichen Standard Pflegeroutinen möglich sind.
Pflege im Alter umfasst Nähe, Respekt und ein Verständnis für den Alltag und die Rituale, die das Leben prägen. Das zeigt auch meine bisherige Forschung, aus der ein wissenschaftlicher Artikel entstanden ist. Ich schreibe an der Uni Jena meine Dissertation zum Thema und die Geschichten meiner Oma, die selbst Altenpflegehelferin in Sachsen war, berührten mich schon lange. Mich interessiert, was passiert, wenn die individuelle Lebensweise im Zuhause auf das zeitlich getaktete System der ambulanten Pflege trifft. Denn gerade in der häuslichen Pflege zeigt sich, wie intensiv der persönliche Rhythmus und das Zuhause zusammenwirken: Wie wird der Tag strukturiert, wenn Pflegekräfte täglich im eigenen Zuhause unterstützen? Welche Bedeutung hat das Zuhause und die vier Wände in diesen Momenten? Welche Veränderungen treten in den Beziehungen zwischen Angehörigen und Gepflegten im Zuge der Pflege auf?
Über diese Erfahrungen möchte ich in einen Austausch kommen und lade deshalb Seniorinnen, Senioren und (pflegende) Angehörige ein, ihre Perspektiven und Gedanken mit mir zu teilen. Was erleben Sie im Alltag der Pflege? Wie nehmen Sie den Wandel Ihrer persönlichen Räume, Ihrer Zeit und Rhythmen wahr?
Ihr Bericht trägt zum Verständnis der Facetten häuslicher Pflege im Altenburger Land und der Zwänge im deutschen Pflegesystem bei.
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