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„Das geht uns alle an“: Windkraft im Sprottental

In einer Mehrzweckhalle in Wildenbörten wird deutlich, wie Beteiligung misslingt – und wie Populismus die Lücken füllt.


Prolog: Ein Aushang im Kasten

„Das geht uns alle an.“ – Dieser Satz sprang mich beim Wartehäuschen-Konzert am schwarzen Brett in Drosen im Altenburger Land an. Er führte mich in die Mehrzweckhalle von Wildenbörten. Dort hatte die Bürgerinitiative „Windkraftfreies Sprottental“ zu einer Infoveranstaltung eingeladen. Freitagabend, 5. September, 18 Uhr. Ich war neugierig: Was bewegt die Menschen hier? Welche Sorgen treiben sie um?


"700 Seiten Amtsdeutsch"

Die Halle war voll besetzt, die Stuhlreihen dicht gedrängt. In der Luft lag Skepsis, gemischt mit Erwartung. Gleich zu Beginn hieß es: „Ihr sollt wissen, was hier vor sich geht. Ihr sollt eure Stimme erheben.“


Doch die ersten Wortmeldungen klangen wie Variationen eines Themas:

  • „700 Seiten Unterlagen – wer soll das verstehen?“

  • „Die Bekanntmachung mitten in die Urlaubszeit gelegt.“

  • „Im Amtsdeutsch so kompliziert, dass es keiner liest.“


Viele fühlten sich übergangen. Eine Frau sprach von „Kalkül“. Eine Umfrage ergab: Nicht einmal zehn Prozent im Raum hatten überhaupt von der Beteiligung gehört.


Andere sagten: „All unsere Einwände werden doch eh unter den Tisch gekehrt.“ Und: „Es ist eine demokratische Farce – wir müssen andere Geschütze auffahren.“ Applaus. Doch unter der Oberfläche lag vor allem Angst: um Lebensqualität, um Grundstückswerte, um die Landschaft – und nach diesem Abend wohl auch um die eigene Gesundheit.


1,4 Prozent Fläche – 6.600 Hektar

Worum geht es konkret? Thüringen hat im Landesentwicklungsprogramm 2025 festgelegt: 1,4 Prozent der Fläche Ostthüringens müssen bis 2027 für Windenergie ausgewiesen werden. Über 6.600 Hektar. Grundlage ist das Windenergieflächenbedarfsgesetz des Bundes. Bis 2032 steigt der Anteil auf 1,7 Prozent.


Formal gab es Beteiligung: Zwischen 14. Juli und 15. September konnten Bürger:innen Stellungnahmen abgeben. Faktisch aber: 700 Seiten Unterlagen, ausliegend im Landratsamt, ein Hinweis im Amtsblatt, eine Online-Beteiligungsplattform, von der keiner weiß. Formell korrekt, praktisch exkludierend.


Der neue Regionalplan weist 67 Vorranggebiete für Windkraft in Ostthüringen aus, 15 davon im Altenburger Land. Politisch ist das längst umkämpft. Auch die AfD nutzt das Thema – und spricht vom „Windkrafthorror“.


Der Höhepunkt: Andreas Schuster

Dann trat er auf: Andreas Schuster, Sprecher der Waldbürgerinitiative Thüringen. Sein Vortrag „Vom Bock zum Gärtner“ war der dramaturgische Höhepunkt des Abends – und der Moment, in dem die Stimmung endgültig kippte.


Schuster sprach von einem „ökologischen Holocaust“ und spannte eine Kette, die in ihrer Absurdität doch erstaunlich wirkmächtig war:


  • Windkraftanlagen erwärmten das Klima.

  • Erwärmung führe zu Trockenheit.

  • Trockenheit zum Borkenkäfer, der ganze Wälder kahlfrisst. Siehe Harz.

  • Und diese toten Wälder würden von Robert Habeck „alchemistisch“ in Windkraftwälder verwandelt.


Der Saal lauschte gebannt, viele nickten. Ich fragte mich: Wie kann so etwas verfangen?


Rhetorik der Eskalation

Doch Schuster legte nach: MRT-Bilder von Gehirnen, Angaben zu geschredderten Vögeln, zerplatzten Fledermäusen, Tonnen getöteter Insekten. Warnungen vor Infraschall – Stichwort Periodizität. „Ewigkeitschemikalien“ – krebserregend, mutagen, reproduktionstoxisch.


Dann die nächste Steigerung: „Kadavergehorsam“, sagte er, werde trainiert oder sei längst vorhanden. Eine Folie zeigte den Klimawissenschaftler Ottmar Edenhofer neben Greta Thunberg und Luisa Neubauer – mit dem Etikett des „Verräters“.

„Die Politik wolle, dass wir glauben“, sagte er. Und: „Wenn das nicht okkult ist, dann weiß ich auch nicht.“


Es war kein Fachvortrag. Es war eine rhetorische Eskalation – Schlagworte statt Sachlichkeit, Bilder statt Belege. Und es wirkte. Nicht, weil es überzeugte, sondern weil es eine Leerstelle füllte: das Bedürfnis nach Erklärung, nach Orientierung, nach dem Gefühl, ernst genommen zu werden.


Ohnmacht und Populismus

An diesem Abend zeigte sich eine doppelte Dynamik:


  1. Menschen, die sich ohnmächtig fühlen. Sie verstehen die Unterlagen nicht, fühlen sich von Politik und Verwaltung nicht abgeholt, haben Angst, dass ihre Lebenswelt irreversibel verändert wird.

  2. Akteure, die diese Ohnmacht bespielen. Indem sie einfache Ursache-Wirkungs-Ketten anbieten, Schuldige benennen, apokalyptische Bilder malen.


Die Folge: Angst wird nicht gemildert, sondern potenziert. Aus Sorgen wird Wut. Aus Verunsicherung Misstrauen.

 

Verantwortung

Die Energiewende ist ein Mammutprojekt. Sie wird Landschaften verändern. Aber sie darf nicht ohne die Menschen gemacht werden.


Beteiligung heißt nicht, 700 Seiten im Landratsamt auszulegen. Beteiligung heißt: Informationen so aufzubereiten, dass sie verständlich, zugänglich und verhandelbar sind. Politik und Verwaltung müssen Räume schaffen, in denen Fragen erlaubt sind, in denen Bedenken ernst genommen werden, in denen Fakten und Ängste auseinandergehalten werden.


Und Kommunen, die ihre Hallen für solche Veranstaltungen öffnen, müssen wissen: Damit geben sie nicht nur einen Raum her. Sie tragen Verantwortung dafür, ob dieser Raum zur Aufklärung oder zur Indoktrination wird.


Das geht uns alle an

Ich verließ die Halle mit Beklemmung. Weil ich gesehen habe, wie Menschen, die sich ohnehin abgehängt fühlen, von Bildern und Schlagworten weiter verunsichert werden. Weil ich gespürt habe, wie leicht sich Angst verstärken lässt, wenn der Dialog fehlt.


Aber auch mit der Erkenntnis: Die Lücke, die Andreas Schuster an diesem Abend füllen konnte, ist keine naturgegebene. Sie ist eine kommunikative Leerstelle, die Politik und Verwaltung selbst geschaffen haben.


Die Frage ist nicht, ob Windkraft ausgebaut wird – sie wird ausgebaut. Die Frage ist, wie: Mit echter Beteiligung. Oder mit Parolen, die Ängste verstärken.


In Wildenbörten konnte man sehen, wohin die zweite Variante führt.


Am Ende bleibt für mich der Satz vom Schwarzen Brett: „Das geht uns alle an.“Nicht nur Windkraft im Sprottental. Sondern die Frage, wie wir miteinander reden – und wie wir verhindern, dass Populisten die Lücken füllen, die Politik und Verwaltung hinterlassen.

Wer Menschen nichts erklärt, überlässt sie den Populisten.

 

Quellen


Rechtlicher Rahmen & Planung

  • Regionale Planungsgemeinschaft Ostthüringen (2025): Beteiligungsportal – Sachlicher Teilplan „Windenergie und Sicherung des Kulturerbes“. Öffentliche Auslegung 14.07.–15.09.2025. Online verfügbar: regionalplanung.thueringen.de/beteiligung-ost (Zugriff: 16.09.2025).

  • Regionale Planungsgemeinschaft Ostthüringen (2025): FAQ zur Windenergieplanung Ostthüringen. Stand: 30.07.2025. Online verfügbar: PDF (Zugriff: 16.09.2025).

  • BUND Thüringen (2025): BUND Thüringen gibt Stellungnahme zum Sachlichen Teilplan Windenergie und Sicherung des Kulturerbes in der Region Ostthüringen ab. Pressemitteilung vom 16.09.2025. Online verfügbar: bund-thueringen.de (Zugriff: 21.09.2025).

  • Regionale Planungsgemeinschaft Ostthüringen (2025): Umweltbericht zum Sachlichen Teilplan Windenergie und Sicherung des Kulturerbes. Online verfügbar: PDF (Zugriff: 16.09.2025).


Waldbürgerinitiative & politisches Umfeld

  • MDR Thüringen (2025): Waldbürgerinitiative, AfD und Rechtsextremismus. Online verfügbar: mdr.de (Zugriff: 19.09.2025).

  • inSüdthüringen (2023): Vortrag in Oberhof: Die Waldbürger und ihr Kampf gegen Windräder. Artikel vom 10.11.2023. Online verfügbar: insuedthueringen.de (Zugriff: 21.09.2025).

  • MOBIT – Mobile Beratung in Thüringen (2025): Im Blick 2/2025. Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen. Online verfügbar: mobit.org (Zugriff: 19.09.2025).


Faktenchecks Windkraft

  • MDR Wissen (2023): Faktencheck Windkraft, Teil 1: Vögel, Insekten, Fledermäuse. Online verfügbar: mdr.de (Zugriff: 20.09.2025).

  • MDR Wissen (2023): Faktencheck Windkraft, Teil 2: Erneuerbare, CO₂, Grundwasser, Holz. Online verfügbar: mdr.de (Zugriff: 20.09.2025).

  • MDR Wissen (2023): Faktencheck Windkraft, Teil 3: Klima, Wetter, Infraschall, Erosion. Online verfügbar: mdr.de (Zugriff: 20.09.2025).


Eigene Beobachtung / Mitschrift

 

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