Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags und das demokratische Tauziehen
In der Thüringer Politikgeschichte wird der Tag der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags wohl lange in Erinnerung bleiben – und das nicht aus den besten Gründen. Es sollte ein Neustart werden, mit 88 frisch gewählten Abgeordneten, die zusammengekommen sind, um einen neuen Landtag zu bilden und den nächsten Parlamentspräsidenten zu wählen. Doch es kam anders: Statt einer geordneten Debatte wurde die Sitzung von Unruhe und Missachtung parlamentarischer Grundregeln überschattet.
Keine Debatten, keine Anträge – wo bleibt die Demokratie?
Alterspräsident Treutler von der AfD übernahm die Leitung der Sitzung. Soweit, so normal. Doch dann: Debatten wurden nicht zugelassen, Geschäftsordnungsanträge ignoriert. Nicht einmal die grundlegende Möglichkeit, über die Geschäftsordnung abzustimmen, wurde den Abgeordneten eingeräumt. Das ist kein kleines Versäumnis. Das ist ein Eingriff in das verfassungsrechtlich verbriefte Selbstorganisationsrecht des Landtags. Übersetzt heißt das: Jeder Landtag hat das Recht, seine eigenen Regeln zu machen. Genau das wurde hier verweigert.
Man hätte meinen können, dass so ein Verhalten umgehend korrigiert wird. Aber stattdessen: Ordnungsrufe für diejenigen, die versuchten, den demokratischen Prozess einzufordern. Sogar das Abschalten der Mikrofone verfügte er. Treutler legte die Sitzung lahm, als es ungemütlich wurde. Und die Abgeordneten? Sie mussten zusehen, wie demokratische Rechte mit Füßen getreten wurden. Ein Moment, der zeigt, dass unsere Demokratie immer wieder erkämpft werden muss.
Ein Streit um die Geschäftsordnung: Was wirklich auf dem Spiel steht
Es ist nicht einfach nur eine technische Frage der Geschäftsordnung. Es geht um viel mehr. Nach aktueller Regelung hat die AfD als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für den Parlamentspräsidenten. Aber genau das wollen die demokratischen Fraktionen ändern. Sie fordern, dass aus der Mitte des Thüringer Landtags, also auch andere Fraktionen Kandidat*innen vorschlagen dürfen – und zwar von Anfang an. Ein grundlegendes demokratisches Prinzip: Gleichberechtigung.
Doch der Alterspräsident weigerte sich, die Abstimmung über den Geschäftsordnungsänderungsantrag zuzulassen. Er blieb dabei, direkt zur Wahl des Parlamentspräsidenten überzugehen. Ein harter Eingriff in den demokratischen Prozess, bei dem nicht nur die Opposition, sondern das gesamte Parlament übergangen werden sollte. Die CDU forderte daraufhin, dass der zweitälteste Abgeordnete die Sitzung leiten sollte – was natürlich im Tumult unterging.
Die verpasste Chance des vorherigen Landtags
Hier kommt ein besonders wichtiger Punkt ins Spiel: Der Verfassungsblog hatte bereits den vorherigen Landtag gewarnt, dass genau diese Situation eintreten könnte. Die Juristen machten einen klaren Formulierungsvorschlag, um die Geschäftsordnung so anzupassen, dass Rechtssicherheit herrscht. Der Vorschlag: Wenn der Kandidat der stärksten Fraktion nicht gewählt wird, sollen auch andere Fraktionen Vorschläge machen dürfen.
Doch diese Chance wurde verpasst. Der alte Landtag hätte Klarheit schaffen können. Ein diesbezüglicher Vorschlag der Grünen, den sie nach Informationen des MDR Thüringen im Dezember 2023 zur Diskussion stellten, fand jedoch keine Mehrheit. Die CDU sah hierzu keine Notwendigkeit. Und nun stehen wir hier: mitten in einem demokratischen Dilemma, das vermeidbar gewesen wäre. Eine Lektion, die uns zeigt, dass Untätigkeit in der Politik oft die größten Probleme schafft.
Ein Rechtsbruch? Der Gang zum Verfassungsgericht
Demokratie lebt vom Recht, und genau das wurde heute mehrfach verletzt. Die CDU kündigte an, den Thüringer Verfassungsgerichtshof anzurufen. Es geht darum, eine einstweilige Anordnung zu erwirken, die Alterspräsident Treutler dazu verpflichtet, gemäß Tagesordnung und geltender Verfassung zu handeln. Es steht nun die Frage im Raum, ob ein solcher Eingriff in die parlamentarischen Abläufe gerechtfertigt ist oder ob hier eine gefährliche Grenze überschritten wurde.
Die Frage, die sich hier stellt: Was bleibt von der Demokratie, wenn der Raum für Debatten, für Austausch und vor allem für Transparenz genommen wird? Der Landtagsdirektor selbst stellte fest, dass der Alterspräsident rechtswidrig gehandelt hat. Ein erschreckender Moment, der zeigt, wie schnell der Boden unter den Füßen der Demokratie ins Wanken geraten kann.
Unklare Geschäftsordnung und das gefährliche Spiel der AfD
Die Geschäftsordnung selbst sorgt in dieser Situation für zusätzlichen Zündstoff. Der Passus, der besagt, dass nach zweimaligem Scheitern des AfD-Vorschlags neue Kandidaten vorgeschlagen werden können, lässt offen, wer diese Vorschläge machen darf. Wie oben erwähnt: Ein Missstand, den der vorige Landtag eigentlich schon hätte beheben können, doch die Möglichkeit wurde nicht genutzt.
Für die AfD ein gefundenes Fressen: Sie nutzt diese Unsicherheit in der Geschäftsordnung, um die Wahl eines Parlamentspräsidenten ohne vorherige Änderung zu forcieren.
Die Angst, dass die AfD den Parlamentspräsidenten stellt und damit eine Schlüsselposition besetzt, die den Landtag tiefgreifend beeinflusst, ist groß. Die demokratischen Fraktionen wollen genau das verhindern. Denn hier geht es nicht nur um eine Person – es geht um die Zukunft der parlamentarischen Kultur in Thüringen.
Was bleibt?
Eine Blockade, die nicht nur zeigt, wie tief die Gräben inzwischen sind, sondern auch, wie fragil unsere Demokratie geworden ist.
Nach einer Besprechung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern ruft Treutler Andreas Bühl (CDU) ans Rednerpult. "Wir haben die Pflicht, die Demokratie zu erhalten", sagt Bühl. "Der Alterspräsident hat die Verfassung an mehreren Stellen gebrochen und missachtet." Die CDU will nun das Landesverfassungsgericht anrufen. Bühl beantragt, die Sitzung so lange zu unterbrechen, bis der Antrag geprüft und ein Landtagspräsident gewählt werden kann. Treutler unterbricht daraufhin die Sitzung und verkündet, dass diese am Samstag um 9:30 Uhr fortgesetzt wird.
Es ist ein trauriger Tag für die Demokratie in Thüringen. Der Versuch, eine Debatte zu verhindern und die Geschäftsordnung im Alleingang zu umgehen, stellt eine ernsthafte Bedrohung für die demokratische Kultur dar.
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